MÄNNERPHANTASIEN
auf Grundlage von Klaus Theweleits gleichnamigen Buch mit neuen Texten von Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch | Deutsches Theater Berlin
In den 1970er Jahren, als über faschistische Täterschaft in der deutschen
Gesellschaft noch weitgehend geschwiegen wurde, legte der Kulturwissenschaftler
Klaus Theweleit mit Männerphantasien eine bahnbrechende Analyse der
Zusammenhänge von Männlichkeit und Faschismus vor: Basierend auf Freikorps-Literatur
der 1920er Jahre, dachte er hellsichtig das destruktive Selbst- und
Frauenbild des „soldatischen Mannes“ zusammen und stellte mit der Verquickung
von Sexualität, Gender und Gewalt die Entstehung des Nationalsozialismus
in ein neues Licht.
Etwa 45 Jahre nach der Ersterscheinung nimmt sich Regisseurin Theresa Thomasberger
Theweleits Werk als Sprechtext für die Bühne vor: Die epochale Untersuchung
bildet für sie und ihr Team die Grundlage für eine Befragung heutiger
Ausprägungen von Fascho-Männlichkeit, von der Abwertung von Frauen* in
der medial geprägten Wirklichkeit bis hin zu aktuellen abgründigen Formen
von Kollektivität.
Denn: Während das Ideal vom „starken Mann“ einerseits überholt scheint,
bringen Kriege neue Kämpfergestalten hervor; stürmen selbstermächtigte
Horden politische Institutionen und befeuern den autoritären Backlash.
Auch online wird Gleichberechtigung als Unterdrückung empfunden: So glaubt
die Incel-Community – unfreiwillig ohne Sex lebende Männer – sie hätte
aufgrund ihres Geschlechts ein Recht auf Frauen und Sexualität; wütende
Alpha-Males und frauen*feindliche Pick-Up-Master beschwören unerreichbare
Männlichkeitsvorstellungen und verzweifeln zugleich an ihnen. Anstatt diese
Ideale zum Problem zu erklären, wird die Angst vor feministischem Widerstand
geschürt, der sich zeitgleich mit großer Kraft ereignet.
Wie wirken Theweleits Texte heute? Welche Anknüpfungspunkte bieten sie?
Um das zu ergründen, haben die Dramatikerinnen Svenja Viola Bungarten,
Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch die Männerphantasien textlich ergänzt
und aus heutigen, weiblichen Perspektiven weitergedacht.
Gerhild Steinbuchs Text portraitiert in poetischer Sprache eine Tätermutter:
eine Frau, deren Sohn sexualisierte Gewalt gegen Frauen ausübt, der zum Täter
wird und damit das Selbst- und Fremdbild seiner Mutter erschüttert. In Ivana
Sokolas Beitrag befragt ein erschöpfter Männersprechchor die eigene Zugehörigkeit
in der Gesellschaft und sucht zwischen Gesangsverein, freiwilliger Feuerwehr
und Angelurlaub nach seinem Platz. Svenja Viola Bungarten beschäftigt sich mit
den rechten Rändern der Internetkultur: in ihrem Text berichtet eine Influencerin
ihren Followern von ihrer persönlichen Verwandlung – von raging feminist zu trad wife.
Premiere: 1. Dezember 2023 Deutsches Theater Berlin
Texte: Klaus Theweleit, Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch
Regie: Theresa Thomasberger
Bühne und Kostüm: Mirjam Schaal
Musik: Oskar Mayböck
Dramaturgie: Lilly Busch
Licht: Peter Grahn
Regieassistenz: Moritz Barner
Hospitanz: Lili Marie Wind, Alexandra Hendel
Mit: Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad, Caner Sunar, Steve Katona (Gesang)